Eine wunderbare Geschichte: Wie die Wiedergeburt von Tenga Rinpoche gefunden wurde, Teil 3
von Michele Martin, Tergar Kloster, Bodhgaya, Bihar, Indien, 21. März 2017.
In Kathmandu sprach der Generalsekretär inzwischen mit Sangye Nyenpa Rinpoche und teilte ihm mit, dass er nach Bodhgaya fahren würde, um dort mit Seiner Heiligkeit im Tergarkloster Gutor (mehrtägige Mahakalapraxis vor Neujahr) und Losar (Neujahr) 2017 zu begehen. " Was soll ich Seiner Heiligkeit in Bezug auf den Yangsi sagen ?", fragte er. Nyenpa Rinpoche antwortete: " Sag überhaupt nichts über den Yangsi. Schweigen ist am besten. Seine Heiligkeit kennt Dich. Wenn er etwas sagen möchte, wird er es tun. Wenn nicht, komm zurück."
Also fuhr der Generalsekretär wie geplant zu Gutor und Losar nach Bodhgaya. Dann, am 2. März 2017, dem Morgen des Marme Mönlam und dem letzten Tag des Kagyü Mönlam Chenmo, hatten er und einige Freunde eine Audienz bei Seiner Heiligkeit und machten Fotos mit ihm. Nachdem die Freunde gegangen waren, bat Karmapa den Generalsekretär in seine Räume und erteilte ihm folgende Anweisungen: "Es sind viele Mönche aus Benchen zum Kagyü Mönlam hier, sie sollen jetzt alle nach Hause zurückkehren. Das Suchteam soll zum Zeitpunkt der Tseringmapraxis während des Wintertreffens der Nonnen hierher kommen."
Daraufhin kehrten die Mönche nach Nepal zurück und vier Mitglieder des Suchteams kamen für die drei Tage der Tseringmapraxis nach Bodhgaya zurück. Am 11. März, dem dritten Tag der Pujas, schrieb Seine Heiligkeit während des Singens etwas auf. Am Ende ließ er den Generalsekretär zum Thron kommen. Karmapa gab ihm ein Papier, das in einen Khata eingewickelt war und sagte: "Was ich geschrieben habe, sind nicht meine eigenen Gedanken. Ich habe eine klare Erscheinung direkt aufgeschrieben. Sag dem Suchteam, es soll nach der Puja zu mir kommen, dann gebe ich euch eine Erklärung." Bei dem Treffen sagte der Karmapa zu ihnen, dass auf dem Papier seine neuen Verse stünden. Die sollten sie auf ihrem Weg der Suche nach dem Yangsi singen. Dann drängte Seine Heiligkeit, "Fahrt sofort nach Nepal und sucht am Stupa von Boudhanath nach einem Kind, das im Jahr des Pferdes geboren ist. Ihr werdet es dort finden."
Sie eilten nach Nepal zurück und suchten tagelang rund um den verehrten Stupa nach dem kleinen Jungen. Es gab dort sehr viele Leute aus Nubri, aber den Yangsi konnten sie nicht finden. Es gab zwar viele Kinder, die im Jahr des Pferdes geboren waren, aber die Namen der Eltern und die Anzahl der Kinder in der Familie passten nicht. Trotzdem wurden alle diese Namen Seiner Heiligkeit gemeldet.
Am 14. März hörte dann das Suchteam über den Webcast aus Bodhgaya, wie Seine Heiligkeit die Gampopa-Vorträge dieses Tages mit der erstaunlichen Nachricht abschloss: "Ihr erinnert Euch vielleicht, dass wir vor zwei oder drei Jahren während des Winter-Dharmatreffens der Nonnen angefangen hatten, nach der Wiedergeburt von Bokar Rinpoche zu suchen. Wir suchten nach ihm, fanden ihn und brachten ihn hierher zum Treffen. Und jetzt, wenn alle äußeren und inneren Bedingungen passen, wenn die richtigen Zeichen erscheinen usw, ist es durchaus möglich, wir hoffen sehr, dass wir die Wiedergeburt des Herrn der Zuflucht, Tenga Rinpoche, suchen, erkennen und ihn hierher zu diesem Vierten Winter-Dharmatreffen der Nonnen bringen können. Es ist nicht sicher, dass dies so eintrifft, es ist noch nichts entschieden, aber es ist durchaus möglich, dass es passiert. Und wenn, dann müssen wir wohl dieses Treffen um zwei Tage verlängern." Viele andere Leute hörten diesen Webcast und fingen an den Generalsekretär anzurufen. " Habt Ihr ihn gefunden?" wollten sie wissen. Die Antwort war "Nein". "Ihr müsst alle geschickten Mittel anwenden, die Euch zur Verfügung stehen", meinten sie besorgt. " Wir brauchen sofort eine Wiedergeburt!"
Am 17. März schickte Seine Heiligkeit eine Nachricht an Khenpo Garwang, die besagte, dass das Benchen-Kloster die ganze Nacht hindurch Tarapuja machen solle, um Hindernisse zu beseitigen. Am 19. März schließlich, um 21 Uhr, bekam Khenpo Garwang plötzlich eine Nachricht von Seiner Heiligkeit: "Bringt dieses Kind aus Rö bis zum Abend des 20. oder spätestens am Morgen des 21. März nach Bodhgaya."
Das Suchteam hatte verzweifelt versucht, den Yangsi in Boudha zu finden und jetzt mussten sie ihn irgendwie - innerhalb von höchstens 24 bis 36 Stunden - die ganze Strecke von den Bergen an der Nordgrenze Nepals nach Bodhgaya im Süden des indischen Bundesstaates Bihar bringen.
Tashi Öser hatte zum Glück eine gute Verbindung zu einer bedeutenden Persönlichkeit in Nepal, die ihm bei der Reservierung eines Helikopters für acht Uhr früh am nächsten Morgen behilflich war. Da im Hubschrauber nur wenig Platz war, schickten sie Khenpo Garwang, Tashi Öser und den jüngeren Bruder der Mutter, Yönten Namgyal (Spitzname Babu), der Mönch in der Benchen-Kloster-Uni war. So würde der kleine Junge, der noch nie weiter von seinem Dorf entfernt war, auf seiner überstürzten Reise nach Indien jemanden haben, den er kannte. Und so wäre das entspannter für alle.
Als der Hubschrauber in Kathmandu landete, wartete am Flughafen schon ein Jeep, um alle direkt nach Indien zu fahren. Sie fuhren die ganze Nacht lang, bis sie dann endlich am 21. März um fünf Uhr morgens in Bodhgaya ankamen. Als der Generalsekretär mit Sherab Wangchuk und Jimba Lodro etwa um halb neun Uhr früh am Tergarkloster ankamen, wirkten sie ziemlich erschöpft, aber auch von großer Freude erfüllt. Sie hatten auch - bei einem Treffen mit der Familie am Flughafen - erfahren, dass Dawa Potri im fünften Monat schwanger ist und damit war Karmapas Vorhersage erfüllt , dass die Familie aus viereinhalb Mitgliedern besteht.
Von niemandem in Tergar war etwas Genaues über den Yangsi zu erfahren, aber die Hauptgebetshalle war erfüllt von einer ruhigen Spannung mit lauter festlich gekleideten Leuten. Rechts von Karmapas Thron stand ein kleinerer, mit goldenem und rotem Brokat bezogen, daneben zwei Stühle. Ayang Rinpoche war auch gekommen und saß links von Karmapa. Karmapa hatte alle Einzelheiten der Zeremonie geplant, von dem zu singenden Text bis zur Reihenfolge in der Prozession mit dem Yangsi. Um halb zehn betrat Seine Heiligkeit die Halle und setzte sich, um die Leitung der Praxis an diesem Morgen zu übernehmen. Deren Hauptteil waren die Bittgebete zu den 16 Arhats, die dem Erhalt der Lehren gewidmet sind.
Als die Stelle kam, wo die Arhats eingeladen werden, anwesend zu sein, wurde die Puja unterbrochen und durch das rote Haupttor der Gebetshalle kam eine Prozession, angeführt vom Generalsekretär mit einem langen Räucherstäbchenhalter, gefolgt vom Juniorsekretär Tashi Öser, Khenpo Garwang, dem Yangsi in einer goldenen Chuba, seinen Eltern und Yönten Namgyal. Begleitet wurden sie von Gyaltsen Sönam von der Tsurphu-Verwaltung. Die Eltern stellten ihr Kind auf den Teppich vor den Karmapa mit seiner Schwarzen Krone, und nach ihren tiefen Verbeugungen wurde der Yangsi zum Karmapa hochgehoben und schaute ihm lange direkt in die Augen. Dann wurde der kleine Junge auf seinen Thron gesetzt, während die Eltern direkt daneben saßen. Er drehte sich immer wieder zum Karmapa und blickte ihn an.
Viele symbolische Opferungen von Körper, Rede und Geist wurden dem Yangsi für ein langes fruchtbares Leben dargebracht, während der gerade zwei Jahre alte Yangsi ruhig auf seinem Thron saß und in großer Einfachheit und Klarheit das Geschehen und die vielen Leute betrachtete, die mit ihren Geschenken und langen weißen Schals zu ihm kamen. Viele Zuschauer berichteten, wie ungewöhnlich sie das von einem so jungen Kind empfanden, das aus einem derart abgelegenen Gebiet kommt und sich plötzlich im Zentrum einer prächtigen Zeremonie mit Massen von Teilnehmern wiederfindet. Seine Präsenz erfüllte augenblicklich die Herzen der überglücklichen Anwesenden. Und so wird es auch während seiner vielen kommenden Jahre sein.
Anmerkung: Dieser Text wurde von Michele Martin geschrieben, die verschiedene Interviews mit Tempa Yarphel, der Suchmannschaft und anderen geführt hat. Frau Michele Martin hat uns erlaubt, ihn für unsere Webseite zu verwenden. Wir sind sehr glücklich über ihr großartiges Angebot und möchten uns herzlich bedanken. Vielen, vielen Dank!