Eine kurze Biographie von Kyabje Tenga Rinpoche Kloster Benchen (1932-2012).
[Anmerkung des Übersetzers: Dies ist keine wörtliche Übersetzung von Tenga Rinpoches Bericht. Es ist vielmehr eine Nacherzählung der Ereignisse aus Tenga Rinpoches Leben, die auf seinen eigenen Worten und Schriften beruht, damit nicht-tibetische Leser es leichter verstehen können. Dieser ganze Text ist eine Kombination aus der Nacherzählung von Erlebnissen, die Tenga Rinpoche Anfang und Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Edward Henning und dann mir erzählt hat, und einigen, die er selbst erst vor wenigen Jahren aufgeschrieben hat. Ein paar Ereignisse, von denen er nicht wollte, dass sie veröffentlicht würden, sind hier ausgelassen. Nicht um irgendetwas zu verheimlichen, sondern um Rinpoches ausdrücklichem Wunsch Folge zu leisten.
Sherab Drime (Thomas Roth, englische Übersetzung)
Kyabje Tenga Rinpoche wurde am vierten Tag des sechsten Monats im Wasser-Affen Jahr 1932 in Ost-Tibet geboren, dem von Schnee eingeschlossenen Norden, dem kühlen Land der Dharma Täler, dem Teil aus dem Mandala-Feld, bekannt als "Die sechs Ketten des tieferen Dokham" (...) . Genauer gesagt, Rinpoche wurde im Gebiet von Dokham, bekannt als Ga, geboren. Sein Vater stammte aus dem höher gelegenen östlichen Klan des auf wundersame Weise geborenen Magyal Porma, bekannt als Drong Sekar Gyalpo, und seinen Nachkommen. Rinpoches Vater war Gönpo Tobgyal, einer der Söhne des damaligen Vorsitzenden des Drong Bezirks. Seine Mutter hieß Rigdzin Dölma und kam aus dem Klan der Gegyal Barma Familie. Während ihrer Schwangerschaft träumte sie eines Nachts von Drongpa Lama Tendzil Chögyal (Rinpoches vorige Inkarnation). Er gab ihr einen Türkis, den sie um ihren Hals tragen sollte. Danach fühlte sie sich sehr wohl und hatte keinerlei körperliche Beschwerden. Außer diesem, sagte Kyabje Tenga Rinpoche, habe es laut seiner Mutter keine besonderen Zeichen gegeben.
Der vorige, 9. Sangye Nyenpa Rinpoche, hatte den 11. Tai Situpa, Pema Wangchok Gyalpo, aufgesucht, um ihn um Hinweise auf die Wiedergeburt des Tulku zu bitten. Mit seinem vollkommen klaren Weisheits-Auge sah Situ Rinpoche ganz deutlich die Familie, in welche der Tulku geboren worden war. Sie gehörte demselben Klan an wie die vorhergehende Inkarnation, der Name des Vaters war Gönpo, der der Mutter Drölma. Er gab das Geburtsjahr des Tulku als Jahr des Affen an, prophezeite, dass die Geburt von wunderbaren Zeichen begleitet sein würde, und sagte, dass man, wenn man nicht weit entfernt von Kloster Benchen in östlicher Richtung suchte, die Wiedergeburt sicher finden würde. Der 15. Karmapa, Kakhyab Dorje, hatte auch Visionen gehabt und ein Brief mit seinen Voraussagen für die kostbare Wiedergeburt enthielt die Namen der Eltern, Zeichnungen vom Haus der Eltern usw., was alles vollkommen mit Situ Rinpoches Aussagen übereinstimmte. Und so wurde die Inkarnation einstimmig anerkannt.
Im Alter von etwa sechs und sieben Jahren lernte Rinpoche Lesen und Schreiben von seinem Vater. Mit Lama Pesam studierte Rinpoche eine besondere Art der Kalligraphie nach der Karma Gadri Schule für Malerei und Schrift. Er lernte auch die Praxis des "Guru Yoga in vier Sitzungen" und die des "Eingestehens von Zuwiderhandlungen" usw. auswendig. Als er 11 oder 12 Jahre alt war, machte er zusammen mit Verwandten eine Pilgerreise, um den Jowo in Lhasa zu sehen. Im Alter von 14 Jahren, am 7. Tag des 10. Monats, kam Rinpoche endlich nach Benchen. Am darauf folgenden Tag, dem 8., wurde er von Sangye Nyenpa auf dem goldenen Thron seiner Vorgänger als die authentische Wiedergeburt von Drongpa Lama Tendzin Chögyal inthronisiert.
Von Benchen Khenpo Karma Guru erhielt Rinpoche ausführliche Erklärungen für die Zeichnung und Konstruktion von Mandalas. Von Benchen Khenpo Söpa Tharchin erhielt er die Praxis von "Mahamudra in Fünf Punkten" auf vollkommene Weise und es gab überall glückverheißende Ereignisse und Vorfälle. Damals soll eine der Hauptstatuen in der Gompa von Benchen eine starke Ähnlichkeit mit dem 13. Karmapa, Düdül Dorje, gehabt haben. Diese nahm ihre Krone, die durch bloßes Ansehen befreit, ab, wenn Rinpoche davorstand, und gleichzeitig füllte sich der Himmel mit Regenbogen in vielen verschiedenen Farben und Formen, z.B. einem achtblütigen Lotus und anderen besonderen Mustern.
(Hier ist etwas Hintergrund Information angebracht: diese Statue war bekannt dafür, gelegentlich ihren Hut "abzunehmen" und vor sich hinzulegen. Niemand hatte je gesehen, wie sie das machte. Der Hut schien einfach auf dem Tisch davor anstatt auf seinem Kopf zu ruhen. Auf diese Weise wussten die Lamas, Mönche und Leute von Benchen, dass etwas besonders Glückverheißendes geschehen würde. Dieses bestimmte Ereignis, von dem hier die Rede ist, soll sich am Vorabend von Kyabje Tenga Rinpoches offizieller Inthronisation zugetragen haben.)
Danach lebte Rinpoche weiter im Kloster und studierte unter der Leitung von Khenpo Söpa Tharchin, einem Schüler von Rinpoches vorheriger Inkarnation. Er wurde sein spiritueller Freund und studierte zunächst die Lehre und Praxis von Cakrasamvara, Vajravarahi und Jinasagara nach der Tradition der Kagyus. Darauf folgten Sarvavid Vairocana, Akshobya, Amitayus, die Rituale des 10. Tages von Guru Padmasambhava und Shing Kyong Kunga Zhonnu (dem besonderen Schützer von Benchen). Danach kamen verschiedene Sammlungen liturgischer Texte und die ausführlichen Schützer-Rituale, die er alle ohne jede Mühe im Gedächtnis behielt.
Auf die gleiche Weise studierte Rinpoche weiter die Mandalas von Cakrasamvara, Vajravarahi, Jinasagara, Sarvavid Vairocana, Akshobya und dem Schützer Mahakala Dorje Bernagchen. Er studierte Plan und Bauweise, so wie die Weihungs Rituale der acht Arten von Stupas und die Bauweise der fünf Herde für die Brandopfer der vier Aktivitäten und vieles mehr. Mit seinem Onkel, Lodrö Rabsal, studierte er die Wissenschaft der Medizin. Er lernte ihre Mantras auswendig und studierte lange Zeit unterschiedliche Zweige medizinischen Wissens.
Von Benchens altem Gompameister, Chöpön Sönam Lhayang, lernte Rinpoche die Herstellung von Tormas unserer Tradition, ihre Formen, Farben und wie man ihre vielen komplizierten Butter-Ornamente vorbereitet. Von demselben Meister lernte er auch die Kunst, Gottheiten zu zeichnen und zu malen. So lernte Tenga Rinpoche bis zu seinem 16. Lebensjahr von seinen Tutoren die Lehre und Praxis der Haupt-Yidam-Gottheiten unserer Tradition, ihre verschiedenen Rituale, wie die vorbereitenden und Haupt-Ermächtigungen und Brandopferungen, die Einweihungen nach verschiedenen Tantras usw. Während dieser Zeit hatte er auch das Glück, die mündliche Übertragung der gesamten kommentierenden Literatur der alten indischen Meister, des Tengyur, der vollständigen gesammelten Werke von Dza Paltrul Rinpoche und viele andere Übertragungen zu erhalten.
Mit dem Mönch Paljor studierte Rinpoche mit großem Eifer die wichtigsten philosophischen Schriften ebenso wie die Dichtung. Von ihm lernte er auch den Abhidharma-kosa und die Kommentare zu den 13 großen Abhandlungen von Khenpo Shenga. Darüber hinaus studierte er verschiedene Themen unter Anleitung von Benchen Khenpo Karma Guru. Dann, noch relativ jung, wurde Rinpoche des weltlichen Lebens überdrüssig und er verinnerlichte die Wahrheit von Vergänglichkeit. Es wurde ihm klar, dass es für ihn Zeit war zu praktizieren und er begab sich zu Sangye Nyenpa Rinpoche, um ihn um eine Yidam-Meditationspraxis zu bitten. Sangye Nyenpa Rinpoche antwortete, dass die Yidam-Gottheit in Rinpoches früheren Leben immer die Weiße Tara gewesen sei und gewährte ihm die Ermächtigung der Weißen Tara.
Von seinem Lehrer und spirituellen Freund Khenpo Söpa Tharchin empfing Rinpoche die mündlichen Überlieferungen und vollständigen Unterweisungen für die Weiße Tara. Dann erhielt er den Rat, in einem 12 Wochen langen Retreat ohne Unterbrechung Weiße Tara zu rezitieren. Als Tenga Rinpoche 19 Jahre alt war, reiste er nach Palpung, dem Sitz der Tai Situ Rinpoches in Derge, und erhielt im Beisein des 11. Tai Situ Rinpoche, Pema Wangchok Gyalpo, die Ordination zum Novizen und die vollständige Mönchsordination. Bei diesem Anlass bekam er den Namen Karma Tendzin Thrinle Namgyal Pal Sangpo. Als glückverheißende Verbindung für sein erfolgreiches, lebenslanges Einhalten dieser Ordinationen, sowie für die Vollendung seiner Studien und folgenden Lehrtätigkeiten, schenkte ihm Situ Rinpoche auch eine alte indische Buddhastatue aus wertvollem Li-Metall. Anschließend kehrte Tenga Rinpoche in sein eigenes Kloster Benchen zurück.
Eines Nachts träumte Rinpoche von einem extrem klaren, blauen Himmel; in der Mitte erschien eine Girlande von goldenen Guru Rinpoche-Mantras, von der Licht zu allen Wesen ausstrahlte. Einige Monate später reiste Rinpoche in das Kloster von Surmang Namgyal Tse, um die Ermächtigungen und Lese-Übertragungen der Rinchen Terdzö-Sammlung aus der Terma-Literatur des 2. Jamgön Kongtrul Palden Khyentse Öser, aka Karsey Kongtrul, zu empfangen. Zu dem Zeitpunkt verstand Rinpoche, dass sein früherer Traum bedeute, dass er mit 25 in ein Drei-Jahres-Meditations-Retreat gehen solle. Mit dieser Absicht ging er zu Sangye Nyenpa Rinpoche und bat ihn um seine Einwilligung.
So begab sich Tenga Rinpoche also ins Retreat und übte sich zunächst in den vier vorbereitenden Übungen. Danach schulte er sich ein ganzes Jahr lang in der Praxis der Weißen Tara. Er träumte, er erreiche die entfernte Küste einer großen Wasserfläche und sei vollkommen befreit von den Ängsten und Schrecken trügerischer Pfade und dergleichen. In einem anderen Traum besuchte ihn eine Nonne. Sie stellte sich als Ani Döndrub Chötso vor und schenkte Rinpoche eine kristallene Gebetskette, die er als ein sehr glückverheißendes Zeichen für seine Weiße Tara Praxis sah. Die Nonne drängte ihn, die Perlen der Kette zu zählen und es stellte sich heraus, dass es 81 oder 82 Perlen waren, ein Hinweis darauf, wie viele Jahre Tenga Rinpoche etwa leben würde. Und es geschahen viele solche positive Zeichen. Im zweiten Jahr seines Retreats übte er sich vor allem in der äußeren, inneren und geheimen Praxis von Vajrayogini, einschließlich der Selbst-Ermächtigung, der Ansammlung von 100.000 Tsog-Opferungen und Brand-Opferungen. All dies erfüllte er vortrefflich.
Zu der Zeit waren die Winter in diesem Teil Ost-Tibets ziemlich rau, mit niedrigen Temperaturen und viel Schnee. Das Wasser in den Opferschalen der Retreatler gefror regelmäßig zu Eisklumpen. In dem Winter aber, als Tenga Rinpoche die Vajrayogini-Praxis übte, bemerkte man, dass das Wasser in den Opferschalen niemals gefror. Man beobachtete auch, dass der Schnee oben auf dem Dach von Rinpoches Retreat Hütte immer wieder schmolz. Das nahm man als Anzeichen dafür, dass Hitze oder Wärme in seiner Meditation entstand, was allgemein als Zeichen für eine erfolgreiche Praxis gesehen wird.
Zu dieser Zeit träumte Tenga Rinpoche auch von einem Mädchen in einem roten Gewand; sie gab ihm einen dreieckigen roten Kristall von großer innerer und äußerer Leuchtkraft, in dessen Mitte man sehr deutlich das vollständig entwickelte Mandala von Vajrayogini, mit allen Keimsilben, Mantra-Girlanden usw. erkennen konnte. Neben der Vajrayogini-Praxis schulte sich Tenga Rinpoche auch in den Meditations -und Yogiübungen der Sechs Lehren des Naropa. Während er damit beschäftigt war, träumte er von einem der indischen Mahasiddhas aus alter Zeit, der sich als Lawapa vorstellte. Von ihm erhielt Rinpoche viele Unterweisungen. Als er Traum-Yoga praktizierte, machte er Übungen zur Transformation und reiste so viele Male in das reine Land der Weißen Tara.
Darauf folgten sechs Monate intensiver Chakrasamvara Praxis. Tenga Rinpoche erinnert sich allerdings nicht, ob es damals besondere Zeichen gab. Anschließend übte er sich in den Meditationen von Vajrakila nach den Enthüllungen des großen Schatzfinder Ratna Lingpa. Zu der Zeit besaß Rinpoche einen kleinen hölzernen Phurba, den er zur Unterstützung seiner Praxis verwendete. Am Ende seiner Praxis, wenn der Augenblick für "Das Erhalten der Siddhis" gekommen war, fing der Phurba an, wie wild zu vibrieren. Er vibrierte selbst dann weiter, wenn Rinpoche ihn in seine Hände genommen hatte. Ein vibrierender Phurba oder einer, der lacht oder sogar im Raum umherfliegt, wird als Zeichen der Vollendung der entsprechenden Praxis gesehen.
Ungefähr zu dem Zeitpunkt erhielt Drubwang Sangye Nyenpa Rinpoche so etwas wie eine Prophezeihung von seiner Yidam-Gottheit, die ihn anwies, nach Zentraltibet zu gehen. Er ließ sich von niemanden daran hindern und machte sich schnell auf die Reise. Benchen Chime Tulku und Tenga Rinpoche ließ er wissen, dass sie zunächst im Kloster bleiben sollten. All die weiteren Belehrungen und Ratschläge, die sie noch haben wollten, würden in die Zukunft verschoben. Zu dem Zeitpunkt sei es außerdem klug, nicht an Nahrung oder Reichtum zu haften. In Zeiten großer Angst und Unsicherheit sollten sie die Methode der Wahrsagung des ARAPATSA-MO anwenden (eine Methode, die auf einem Würfel beruht, auf dem die Silben des Manjushri Mantras geschrieben stehen.) [.....] Kyabje Tenga Rinpoche konnte gerade noch sein Drei-Jahres-Retreat beenden. Danach musste er sofort nach Zentral-Tibet fliehen, wo es damals noch relativ sicher war.
Da sie bisher noch nicht oft nach Lhasa gereist waren, herrschte häufig große Unsicherheit, wenn die Gruppe entscheiden musste, welchen Weg sie nehmen sollten. Aber es klärte sich immer sehr schnell und ihre Wahl stellte sich immer als die richtige heraus. Das, sagte Rinpoche, hatte zwei Gründe. Vor allem war es die Güte und Aktivität der Schützer. Zweitens war es das Ergebnis davon, dass sie bei ihrer Meditation lange die Aufbau- und Vollendungsphasen-Meditationen geübt hatten. Diese Praxis hat die Kraft, die subtilen Verschleierungen in unserem Geist zu reinigen und so einen gewissen Grad von Klarsicht zu bewirken.
Eines Nachts erschien Sangye Nyenpa Rinpoche Tenga Rinpoche im Traum. Er überquerte einen Gebirgsgrat mit ein paar Begleitern; er zeigte ihnen einen geheimen Pfad und sagte, wann sie ihn gehen sollten. Als sie erwachten, überkam sie plötzlich große Angst. Aber immer wenn sie große Angst oder Unsicherheit überfiel, nutzen sie die Wahrsagungs-Methode, wie Sangye Nyenpa ihnen geraten hatte. Sie erreichten schließlich Lhasa und sahen wieder das goldene Gesicht Sangye Nyenpas. Sangye Nyenpas Gefolge zog dann nach Tshurpu weiter, während Tenga Rinpoche selbst zum Jokhang (in Lhasa) ging, wo er 5500 Umrundungen ausführte. Danach reiste er auch nach Tshurpu, wo er das goldene Gesicht des Buddha Karmapa, des vorigen 16.Karmapa, Rangjung Rigpe Dorje, erblickte.
1959 ging der Buddha Karmapa nach Indien, auf dem Umweg über Bhutan. Der König von Sikkim hatte damals S.H. eingeladen zu kommen und dort seinen Wohnsitz einzurichten. Zu diesem Zeitpunkt reiste Tenga Rinpoche nach Kalimpong, wo er S.H. Dilgo Khyentse Rinpoche traf. Von ihm erhielt er die Ermächtigungen und mündlichen Übertragungen des Nyingthig Yabshi und Nyingthig Tsapö, die mündliche Übertragung der 32 Bände von Ju Mipham Rinpoches gesammelten Werken, sowie die der gesammelten Werke von Terchen Gyurme Dorje. Während seiner Zeit in Kalimpong machte Tenga Rinpoche auch ein Retreat für die Praxis des besonderen Schützers von Kloster Benchen, Shing Kyong Kunga Zhonnu. In dieser Zeit zeigten sich viele Anzeichen des Erfolgs, sowohl im Traum als auch aktuell, und der Schützer erschien tatsächlich und versprach für immer seine Hilfe und Unterstützung.
Im Zusammenhang mit diesem Schützer und wie nah und liebevoll er alle behütet, die mit dem Kloster und seinen Lamas verbunden sind, sind vielleicht zwei kurze Geschichten interessant, die ich beide vor vielen Jahren gehört habe. Die erste hat mir, Sherab Drime, Kyabje Tenga Rinpoche selbst erzählt. Die andere hörte ich von Rinpoches älterem Bruder, Lama Rapsal, der vor ein paar Jahren gestorben ist. Beide haben sich in Tibet zugetragen. Die erste Geschichte geht so: Tenga Rinpoche war noch ganz jung, als er eines Tages das Zimmer des vorigen Sangye Nyenpa Rinpoche betrat und sah, wie der ganz gebannt aus dem Fenster blickte. Als Tenga Rinpoche wissen wollte, was es denn da zu sehen gäbe, sagte ihm Sangye Nyenpa, er solle selber hinsehen. Vor dem Benchen Kloster fließt einen breiterer Bach und Rinpoche konnte einen kleinen Mönch sehen, der zwischen den Felsen am Wasser spielte. Er konnte auch eine dunkle Gestalt hinter dem kleinen Mönch sehen, konnte sie aber nicht ganz genau erkennen. Deshalb fragte er Sangye Nyenpa: "Was ist das?" Nyenpa Rinpoche war etwas erstaunt und sagte: "Kannst Du nicht den kleinen Mönch sehen, der da unten am Bach spielt? Und siehst Du nicht Shing Kyong hinter ihm stehen, der seine Robe hält, damit er nicht ins Wasser fällt?"
Die andere Geschichte handelt von Lama Rabsal. Er ging eines Tages spazieren, den Berg hinauf hinter dem Kloster. Da tauchte ganz plötzlich ein riesiger schwarzer Bär zwischen den Felsen auf und wollte Lama Rabsal angreifen. Es gab nichts, wohin er hätte flüchten können, und das einzige, was Lama Rabsal in diesem Augenblick einfiel, war das kurze, vierzeilige Bittgebet zu Shing Kyong. Kaum hatte er die ersten Zeilen gesprochen, als der Bär abrupt stehen blieb, mit dem Ausdruck äußersten Schocks auf etwas hinter Lama Rabsal starrte, umdrehte und sich, so schnell er konnte, in den Wald davonmachte. Der Bär wurde niemals wieder in der Umgebung des Klosters gesehen.
In Sikkim nahm Kyabje Tenga Rinpoche damals auch teil an den zur Reifung und Befreiung führenden Ermächtigungen und mündlichen Übertragungen von Kagyü Ngagdzö und Damngag Dzö, ebenso wie an denen der Schriftsammlungen des ersten Jamgön Kongtrul, bekannt als der Gyachen Khadzö, die S.H. Karmapa in Kloster Rumtek gab, auf vollendete Weise, ohne jeden Irrtum und ohne Auslassung. Während dieser Zeit erfuhr Rinpoche viel Segen und Inspiration; er träumte von einem Regen kleiner Karmapakshi Figuren aus Stein, die auf ihn hernieder fielen. Außerdem erhielt Rinpoche von S.H. die vollständigen Übertragungen der Sammlung von Ermächtigungen des 9. Karmapas Chikshe Kündrol, den Chökyong Logtreng (eine Sammlung von Schützer Ermächtigungen), die mündliche Übertragung der gesamten Werke des Unvergleichlichen Je Gampopa, eine vollständige Sammlung von Mahamudra-Unterweisungen und noch viel mehr. In Rumtek empfing Tenga Rinpoche von Kyabje Kalu Rinpoche auch die vollständige Übertragung von Ermächtigungen und Texten für die Belehrungen und die Praxis der Shangpa Kagyü-Linie, eine Übertragung, die schon immer Rinpoches Herzenssache war, seit der Zeit seines Vorgängers Tendzin Chögyal.
In Rumtek zog sich Rinpoche Arthritis zu und konnte einige Zeit nicht viel herumgehen. Er betrachtete das aber nicht als Hindernis sondern als Segen. Es gab ihm, sagte er, die Gelegenheit, ein Drei-Monats-Retreat zu machen, bei dem er sich auf die Praxis von Mahakala Dorje Bernagchen und die Ansammlung einer großen Zahl von dessen Mantras konzentrierte. Von den 17 Jahren, die Rinpoche in Rumtek verbrachte, diente er 9 Jahre S.H. Karmapa als Vajra-Meister oder Dorje Lobpön. Kyabje Tenga Rinpoche begleitete S.H. Karmapa auch 1974 auf seiner ersten Reise in den Westen.
Eines Tages befand sich Rinpoche in der Gegenwart von S.H. Karmapa, der ihn liebevoll ermahnte, zu diesem Zeitpunkt nicht zu viel umher zu reisen, sondern mit ihm in Rumtek zu bleiben, da es gerade sehr gute Belehrungen geben würde. Zu der Zeit hielt sich Khenchen Thrangu Rinpoche auch in Rumtek auf; man hatte ihn gebeten, der Klostergemeinschaft verschiedene Belehrungen zu erteilen, was er gütigerweise tat. Damals war Tenga Rinpoche 29 Jahre alt. Von da an bis zu seinem 33. Lebensjahr nahm er täglich am Unterricht teil, der den Schülern mit großer Güte erteilt wurde. Zuerst studierten sie Belehrungen des großen Mipham Rinpoche, dann die Fünf Abhandlungen des Buddha Maitreya, dann die Mula-madhyamika-karika von Nagarjuna und die Madhyamika-vatara von Chandrakirti. Schließlich hatten sie das Glück, die Erklärungen zu der Madhyamika-lamkara von Mahapandita Shantarakshita zu hören. Darauf folgten die Erklärung von Bodhicarya-vatara von Shantideva, die zweimal gegeben wurde und die der drei Arten von Gelübden, auch zweimal.
Kyabje Tenga Rinpoche sagte über sich selbst: "Dank der Güte von Thrangu Rinpoche habe ich, der ich wie ein törichter Ochse bin, ein wenig vom Dharma verstanden." Von Sakya Khenpo Khedrub erhielt Tenga Rinpoche Belehrungen über Karika, den Wurzel-Text der Pratimoksha-sutra zusammen mit Khenpo Shengas Kommentar und Belehrungen über Tsema Rigter, die Schatzkammer der Wissenschaft der Erkenntnistheorie von Sakya Pandita.
Von Salje Rinpoche erhielt er Madhyamaka-catu-shataka-shastra-karika, zusammen mit Khenpo Shengas Kommentar, Die Tiefere Innere Bedeutung des 3. Karmapa Rangjung Dorje, Mahayana-uttara-tantra-shastra und Hevajra tantra, alle drei mit Jamgön Kongtruls Kommentaren. Diese Linie von Salje Rinpoche kommt durch seinen eigenen Lehrer, Palpung Khyentse Rinpoche, einen Schüler des 15. Karmapa, Khakyab Dorje, der diese Belehrungen vom 1. Jamgön Kongtrul Lödrö Thaye selbst erhalten hatte.
Während seiner Zeit in Kloster Rumtek erschienen Rinpoche in seinen Träumen oft Anzeichen von Krankheit und anderen Hindernissen für sein Leben. Manchmal ging er dann in den Traum und reiste in das reine Land der Tara, seiner persönlichen Yidam-Gottheit. Einen seiner Träume beschreibt er wie folgt: "Es kam mir der Gedanke, dass es ein Traum sei und dass ich ihn umwandeln könnte. Das tat ich und beschloss, Taras reines Land, genannt "Anordnung von Türkis-Blütenblättern", zu besuchen. Ich flog über den Himmel und sah alle möglichen Länder und Meere; schließlich landete ich am Fuße eines Berges auf einer wunderschönen Wiese mit riesigen Blumen. Ich ging einen engen Pfad entlang, die Blumen waren größer als ich und verbreiteten einen alles durchdringender Duft. Ich verfolgte den Pfad weiter und gelangte zu einem Pass; ganz oben erblickte ich eine riesige kristallene Stupa mit vier Türen. Darin befand sich eine Lotusblüte. Auf der Blüte saß eine Figur, die sprach: 'Ich bin die Edle Tara.' Aber sie sah für mich gar nicht aus wie Tara, eher wie ein alter Lama. Dann segnete sie mich mit den Worten des Gebets der Tara, das Jowoje Atisha als erster ausgesprochen hatte, den berühmten sechs Zeilen:
Ich verneige mich vor ihr, die vor den acht Ängsten schützt,
Ich verneige mich vor ihr, die die strahlende Pracht und Güte ist,
Ich verneige mich vor ihr, die die Tore zu den niederen Bereichen schließt,
Ich verneige mich vor ihr, die die Tore in die höheren Bereiche weist,
Beschütze mich immer mit deinem Mitgefühl!
(Gesprochen erstmals von Atisha auf der Seereise nach Indonesien, als ein Sturm sein Schiff fast zum Sinken brachte.)
Ich fragte dann: 'Ich erfahre viele Zeichen von Hindernissen für mein Leben. Was kann ich tun?' Tara gab mir die Anweisung, weiter immer zu ihr zu beten und vor allem in meinem 49. Lebensjahr ein strenges Retreat zu machen. Zu dem Zeitpunkt werde es ein starkes Hindernis geben und es wäre sehr wichtig, in der Zeit in Abgeschiedenheit zu verweilen. Wenn ich das täte, dann würde ich die Absicht meines Lebens voll und ganz erfüllen können."
Ungefähr zu dieser Zeit begann Tenga Rinpoche Träume zu haben, die darauf hinwiesen, dass er nach Nepal gehen und dort seinen Wohnsitz einrichten solle. In einem bestimmten Traum kamen vier dunkle Männer zu ihm, starke Erscheinungen mit Schwertern und Messern. Die rieten ihm, in die Tatopani-Gegend zu ziehen, eine Gegend in Nepal, nicht weit von Kathmandu. Sie empfahlen besonders einen Platz namens "Das kleinere Ramadoli". Ramadoli ist ein alter Friedhof in Nepal, wo viele berühmte Siddhas der Vergangenheit praktiziert haben, unter ihnen Naropa, Maitripa und Marpa, der Übersetzer. Wenn er dorthin ginge, sagten sie, würde sich seine Aktivität entfalten und sehr verstärken. Und als Rinpoche dann nach Nepal zog - ohne jegliches Vermögen -, bot ihm ein Mann namens Ratna schon bald die Nutzung eines kleinen Hauses an. Beide Plätze, Tatopani und Ramadoli, sind nicht weit entfernt von Kloster Benchen in Svayambunath.
An dieser Stelle seines Berichts, auf seinen häufigen Gebrauch von Träumen als Wegweiser anspielend, unterstrich Tenga Rinpoche, wie ungeheuer wichtig die stabile Praxis der Tummo-Praxis sei. In all den Sechs Lehren sowohl von Naropa als auch von Niguma ist Tummo die absolute Grundlage. Nur mit einer stabilen Tummo Praxis kann man hoffen, in den anderen, wie Traum- oder Illusionskörper-Praxis erfolgreich zu sein.
Nachdem Tenga Rinpoche sich dort eingerichtet hatte, hatte er einen weiteren Traum. Darin wurde klar, dass er in Zukunft einen Retreat-Platz in der Nähe einer Höhle einrichten würde. Das wurden dann die Retreat-Zentren in der Nähe der Asura-Höhle von Padmasambhava in Pharping, nicht weit von Kathmandu. Auch erschien Rinpoche im Traum eine Person, die ihm drei Bände mit Texten schenkte. Sie sagte ihm, dass er den ersten und zweiten Band schon gelesen habe. Jetzt müsse er mit dem dritten beginnen. Rinpoche interpretierte das später dahingehend, dass er in Kloster Benchen in Tibet und in Kloster Rumtek in Sikkim gelebt hatte. Diese Abschnitte seines Lebens waren vorbei. Nun würde der dritte beginnen: Die Errichtung seines Sitzes in Nepal.
Seit 1976 hat Tenga Rinpoche dann das Kloster Benchen im Exil eingerichtet, am Fuße der prächtigen Svayambunath-Stupa in Nepal. Das ist der Sitz sowohl des gegenwärtigen 10. Sangye Nyenpa Rinpoche als auch der von Kyabja Tenga Rinpoche. Nicht weit von Kathmandu, in Pharping, einem heiligen Platz, gesegnet durch die Gegenwart von Guru Pamasambhava und vieler anderer Siddhas der Vergangenheit, haben beide Rinpoches ein Drei-Jahres-Retreat Zentrum und eine Shedra oder Kloster-Universität eingerichtet. Ein weiteres Drei-Jahres-Retreat Zentrum zur Praxis der Shangpa-Kagyü-Linie ist im Bau und wird hoffentlich bald betriebsbereit sein.
1977 hatte Rinpoche das Glück, die vollständige Übertragung der Gesammelten Wiederentdeckten Termas von Terchen Dudjom Lingpa zu empfangen, von dessen authentischer Inkarnation, dem damaligen Oberhaupt der Nyingma Schule, S.H. Dudjom Rinpoche Jigdral Yeshe Dorje, in dessen Kloster in Boudhanath bei Kathmandu. Im selben Jahr erhielt Rinpoche die Übertragung von Damngag Dzö noch einmal, diesmal vom jetzigen 12. Tai Situpa. 1987 bat S.H. Dalai Lama Tenga Rinpoche, in seinem Kloster Benchen Trehor Pangor Rinpoche die Teile der mündlichen Übertragung des Tengyur zu geben, die ihm fehlten.
Von S.H. Sakya Tridzin erhielt Tenga Rinpoche die Übertragung des Drubthab Küntü, einer Sammlung der Sadhanas der acht Praxislinien in Tibet, die der unvergleichliche Jamyang Khyentse Wangpo zusammengetragen hatte. Von dem großen Sakyapameister Chobgye Tri Rinpoche erhielt Tenga Rinpoche Kalacakra. Kalacakra-Übertragungen anderer Linien erhielt Rinpoche von S.H. Dalai Lama, Dilgo Khyentse Rinpoche und Kyabje Kalu Rinpoche. Nachdem Tenga Rinpoche schon die Übertragung verschiedener wiederentdeckter Termas des Chokgyur Lingpa von Kyabje Tulku Urgyen Rinpoche empfangen hatte, war er 1996 in Syayambunath Gastgeber der Übertragung des gesamtem Chokling Tersar (gesammelte Termas des Terchen Chokgyur Lingpa) durch Tsike Chokling Rinpoche, der authentischen Inkarnation von Terchen Chokgyur Lingpa selbst. So hat Kyabje Tenga Rinpoche zahllose Übertragungen von Meistern aller Traditionen erhalten.
1978 wurde Rinpoche von S.H.Karmapa gebeten nach Dänemark zu gehen, um den Dharmazentren dort zu helfen. Von da aus nahm Rinpoche viele Einladungen an und reiste zu anderen Zentren in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland usw.
S.H.Karmapa wies besonders darauf hin, dass es für die Zukunft der Übermittlung des Dharma in Europa von großem Nutzen wäre, wenn Tenga Rinpoche ein großes Zentrum in der Mitte Deutschlands einrichten würde. Und so gründete Rinpoche 1999 Benchen Phüntsok Ling. Er reiste jedes Jahr dorthin und hielt seinen Haupt-Sommerkurs, der von einer großen Zahl seiner Schüler aus ganz Europa besucht wurde.
In früheren Jahren hat Tenga Rinpoche auch Südost-Asien besucht, vor allem Malaysia, Singapur, Hongkong und Taiwan. Wenn auch nicht sooft wie in Europa war Rinpoche immer noch gelegentlich dort zu Besuch. In den frühen neunziger Jahren wurde es möglich, das ursprüngliche Kloster Benchen in Tibet wieder aufzubauen. Sowohl Drubwang Sangye Nyenpa Rinpoche als auch Kyabje Tenga Rinpoche haben erhebliche Anstrengungen für dieses Projekt unternommen. Und so wurde das vollständig wieder aufgebaute Kloster Benchen vor einigen Jahren vom jetzigen Sangye Nyenpa Rinpoche eingeweiht.
Trotz seines fortgeschrittenem Alters reiste Kyabje Tenga Rinpoche unermüdlich weiter mit dem einen Ziel, seinen vielen Schülern auf der ganzen Welt von Nutzen zu sein. Nach längerer Krankheit, die ihn aber nicht davon abhielt, bis ganz zuletzt ununterbrochen zum Nutzen anderer zu handeln, starb Rinpoche im Alter von 81 Jahren in den frühen Morgenstunden des 30. März 2012. Dreieinhalb Tage lang verweilte er in dem Zustand, der "Tukdam" genannt wird, einem tief meditativen Zustand, in den einige realisierte Meister eintreten, nachdem ihr physischer Körper erloschen ist. Wie S.E. Tai Situpa es ausdrückte: "Er ging hin wie alle großen Kagyu-Meister, in tiefer Meditation, aufrecht sitzend, sein Körper unverändert in dieser Haltung, auch nachdem er seinen Geist ausgehaucht hatte."
Natürlich gibt es noch viel mehr Einzelheiten aus dem Leben von Kyabje Tenga Rinpoche und auch aus dem Leben seiner beiden vorhergegangenen Inkarnationen, aber - wie Jonang Taranatha sagt, "eine überlange heilige Biographie wird vielleicht zum Hindernis für unser Verständnis, ich möchte hier lieber nichts über diese Einzelheiten schreiben...."
[Sherab Drime]